SEI WIE ERDBEEREIS
Ein Text soll zunächst einmal einen Inhalt transportieren, vom Schreibenden zum Lesenden. Dieser Inhalt ist in dem Text enthalten, indem alle Bestandteilen hineingegeben wurden, die sich in der Wahrnehmung des Lesenden als Inhalt realisieren – also wahrgenommen und verstanden werden. Also wie Erdbeereis: alles wurde hineingegeben, was das Erdbeereis zum Erdbeereis macht. Wer davon einen Löffel nimmt, weiß: das ist Erdbeereis.
Erdbeereis ist nicht gleich Erdbeereis
Was aber, wenn das Transportgefäße den Inhalt verändert? Was, wenn das Erdbeereis nicht als Erdbeereis wahrgenommen wird, weil es zum Beispiel in einer Suppenschüssel serviert wird – oder plötzlich komisch schmeckt, weil es mit einer völlig geschmacksneutralen Farbe versetzt plötzlich grün oder orange ist? (Food-Designer machen sich darüber viele Gedanken).
Ein Text ist kein Textil
Jaha! Aber ein Text ist doch ein Text! der seine Bedeutung transportiert, egal, wie er daher kommt, oder? Nicht im Web. Der Text ist kein Textil, das sich über die Form legt, sondern in einer Form ausgeliefert wird, die sich nicht darum kümmert, was er ist oder will, der Text. Darum muss sich der Text (bzw. der/die Schreibende) damit auseinandersetzen, wo er rein kommt (oder kommen kann). Da ist die eigene Webseite manchmal schon eine Herausforderung – aber was, wenn man es in die Google News schafft, wie der Artikel der RP-Online? Dann können Sachen schiefgehen, von denen man noch nicht mal wusste, das sie schief gehen können. und plötzlich steckt der Apfelsaft in einer grünen Schnapsflasche und schmeckt nach Pastis. (Oder, um beim Textil zu bleiben: da steckt der Lumpen in Frischhaltebeutel und man darf raten, ob man eine Unterhose oder ein Oberteil gezogen hat.)
Sei wie Wasser
Also wenn man das dann so sieht, die ganzen Flaschen und Frischhaltebeutel, dann denkt man sich doch: mach’s wie Bruce Lee und sei wie Wasser. Wenn man das ganze getexte dann aber so atomisiert (oder, um genau zu sein: molekulairisiert), dann bleibt doch vom großen Ganzen nichts übrig, und die Bedeutung wird wässrig. Man kann dann nämlich das Wasser aus der einen Flasche nicht von der anderen unterscheiden.
Sei wie Erdbeereis – mit Toppings
Also wenn man seinen Text so Online in eine Welt entlässt, die ihm die Form überstülpt, wie das Gefäß sich so eben daherkommt, dann könnte man das ganze doch eher als kleine Eiskugel angehen. Wird der Text anderer Stelle verlinkt, wo mitunter automatisch ein Ausschnitt erstellt und gezeigt wird, erscheint da ein kleines Probekügelchen, das aber den ganzen Charakter des dahinterstehenden Erdbeereisbechers schon ahnen lässt. So kann der geneigte Eisfreund entscheiden, ob er den Becher will (also zum Text klickt) oder nicht.
Und was heißt das jetzt?
Mach deinen Text so, das er in kleine Erdbeereiskugeln zerlegt werden kann. Wer die in der Auslage irgendwo im Web sieht, kann dann sagen: her mit dem Becher! Und wer den Becher vor sich hat, mit Toppings, kann sich entscheiden, wieviel Kugeln er heute haben will, und welche.
Äh, was?
Naja: Der Text hat eine Struktur, bei der noch nicht mal im Haupttext alles angezeigt werden muss. Ein Teil der Struktur ist zum Beispiel der Teaser oder Anleser, der in der Auslage (einer Newsapp, bei Twitter, Facebook oder sonstiger kostenloser Webwerbezeitung) erscheint. Da muss drinstehen, was drin ist: kein Geschwurbel, keine Geheimnistuerei, sondern die klare Aussage, was einen erwartet – nämlich ein Erdbeereisbecher. Und zum Beispiel Zwischenüberschriften im Haupttext, die auf den ersten Blick zeigen, was drin ist im Becher (es gibt ja Leute, die haben im Erdbeereisbecher ein Schokoladenbällchen, und das sieht man dann gleich, wenn man es mit einer Zwischenüberschrift annonciert).
Klappt nicht immer, oder?
Nee. Neben den Teasern, die nur Sensationslust vermitteln, aber dann auf heiße Luft verlinken
Mensch schaute aus dem Fenster und glaubte seinen Augen nicht
Bis zu den eigentlich sinnvollen Überschriften, die den wesentlichen Inhalt ankündigen
Nasa-Sonde: „New Horizons“ entdeckt Nebel auf dem Pluto
Kann das irreführend sein (auch bewusst – als Clickbait) oder in die Hose gehen, wie im Screenshot. In die Hose gehen kann aber hier auch heißen, dass die Wahrheit gesagt wird, und es sich letztlich nicht lohnt, weiter zu lesen. Im Screenshot krieg ich dreimal das gleiche Erdbeereisbällchen vorgehalten. und man fragt sich: ist das alles, oder verbirgt sich dahinter doch ein großer, toller Eisbecher?
Schrödingers Eisbecher
Im Prinzip nein: Denn ausser dem Erstaunen des Chefwissenschaftler der New Horizon Mission:
[themify_quote]“Mir stand der Mund offen, als ich dieses Foto gesehen habe“, sagte Missionsleiter Alan Stern. [/themify_quote]
und der Tatsache, dass diese Beobachtung eine Menge Fragen aufwirft
[themify_quote]“Wir brauchen ein paar neue Ideen, um herauszufinden, was da los ist“, sagte Nasa-Forscher Michael Summers.[/themify_quote]
gab es zu dem Zeitpunkt noch nichts zu weiteres zu berichten. Denn wohl auch die Bilder, die in der aktuellen Version zu sehen sind und einen Klick lohnen, waren wohl ursprünglich gar nicht verfügbar.